Plötzlich plappern Anna und Arthur?

Text von nadir.org zum Umgang mit Facebook und Co

Seit Jahren betreiben wir Server und Kommunikations-dienste für linke Gruppen, geben wir uns alle Mühe, dieServer sicher zu halten, wehren wir – mit unterschiedli-chen Mitteln – Anfragen von Behörden zu irgendwelchenDaten ab. Kurz: Wir versuchen im kapitalistischen Inter-net eine emanzipatorische Basis der Kommunikation zubieten. Seitdem auch viele Linke Facebook „nutzen“(oder Facebook viele Linke nutzt), sind wir jedoch ver-unsichert: Vielen scheint es nun nicht mehr darum zugehen, einerseits das Internet als Ressource für linkeKämpfe zu nutzen, andererseits aber das Internet selbstals politisch umkämpftes Terrain zu verstehen und sichin diesem Kampf dazu zu verhalten. Vielmehr wird un-sere politische Arbeit selbst als defizitär und anstrengendwahrgenommen. Verschlüsselte Kommunikation mit au-tonomen Servern scheint nicht als emanzipativ, sondernals lästig angesehen zu werden.

Disneyland

Wir hatten einfach nicht verstanden, dass es nach alldem Stress auf der Straße und den langen Gruppendis-kussionen der Wunsch vieler Aktivist_innen ist, auf Facebook in Ruhe über alles, was erlebt wurde, mit allenzu quatschen. Dass Facebook eben auch für Linke diesanfteste Art der Verführung ist. Dass auch Linke es ge-nießen, dort, wo es scheinbar nicht weh tut, den Strömender subtilsten Form der Ausbeutung zu folgen und end-lich einmal keinen Widerstand zu leisten. Das schlechteGewissen, das viele dabei sicherlich plagt, weil sie wissenoder ahnen, welche fatalen Konsequenzen Facebook mitsich bringt, scheint hierbei keine besondere Handlungsanweisung zu erteilen.

Ist es wirklich Unwissenheit?

Um einmal kurz zu skizzieren, was das Problem ist: Mitder Benutzung von Facebook machen Linke nicht nurihre eigene Kommunikation, Meinung, „Likes“ usw.transparent und prozessierbar. Sondern, und dies haltenwir für weit folgenreicher, es werden linke Strukturenund Einzelpersonen, die selbst mit Facebook wenig odergar nichts zu tun haben, aufgedeckt. Die Mächtigkeit Fa-cebooks, das Netz nach Relationen, Ähnlichkeiten usw.zu durchsuchen, ist für Laien kaum vorstellbar: Mit demPlappern auf Facebook werden für Behörden und Kon-zerne politische Strukturen reproduziert. Diese könnendann bequem nach bestimmten Fragen durchsucht, ge-ordnet und aggregiert werden, um präzise Aussagennicht nur über soziale Relationen, wichtige Personen inder Mitte usw. zu produzieren, sondern auch auf derZeitachse bestimmte Prognosen treffen zu können, diesich aus Regelmäßigkeiten ableiten lassen. Facebook istdie subtilste, billigste und beste Überwachungstechnolo-gie neben Handys!

Linke Facebooknutzer_innen als unbezahlte V-Leute?

Wir hatten immer gedacht, es geht der Linken um etwasanderes: Die Kämpfe auch im Internet weiterzuführen.Und darum, das Internet für die politischen Kämpfe zunutzen. Uns geht es darum – auch heute noch. Deshalbsehen wir in Facebook-User_innen eine echte Gefahr fürunsere Kämpfe. Und besonders Linke auf Facebook produzieren (meist ohne zu ahnen, was sie tun) wertvollesWissen, auf das Verfolgungsbehörden in zunehmendemMaße zurückgreifen. Wir könnten fast soweit gehen,diese Linken der Kompliz_innenschaft zu beschuldigen.Aber soweit sind wir noch nicht. Noch ist unsere Hoffnungnicht gestorben, dass sich die Einsicht einmal durchsetzt,dass Facebook ein politischer Gegner ist. Und, dass die-jenigen, die Facebook nutzen, Facebook immer mächti-ger machen. Linke Facebooknutzer_innen füttern erstdie Maschine und legen damit Strukturen offen! Und dies ohne Not, ohne Richter_in, ohne Druck.

Standpunkt

Uns ist klar, dass wir von einer gewissen Höhe herabsprechen. Da wir uns seit Jahren mit dem Netz und Com-putern, Systemadministration, Programmieren, Krypto-graphie und einigem mehr beschäftigen und teils damitunser Geld verdienen, ist Facebook quasi ein natürlicherFeind für uns. Da wir uns außerdem als Linke verstehen,addiert sich dazu noch eine Analyse der politischen Öko-nomie Facebooks, in der „User_innen“ zum Produktwerden, an das gleichzeitig auch verkauft wird. In derFachsprache heißt das „demand generation“. Uns ist klar, dass sich nicht alle mit solcher Hingabe mitdem Internet auseinandersetzen, wie wir es tun. Aberdass Linke dieses trojanische Pferd namens Facebook anihrem Alltag teilhaben lassen, ist weniger Ausdruck vonUnwissenheit als von Ignoranz an einer extrem kritischen Stelle. Wir fordern mit allem Nachdruck alle auf: Schließt Eure Facebook-Accounts! Ihr gefährdet andere! Verhaltet Euch zu diesem Datenmonster!

und ansonsten:

Verlasst GMX und Co! Nieder mit Google! Gegen die Vorratsdatenspeicherung! Für Netzneutralität! Freiheit für Bradley Manning! Hoch die Dezentralität! Fight Capitalism! Auch – und gerade – im Internet! Gegen Ausbeutung und Unterdrückung! Auch – und gerade – im Internet! Nervt Eure Genoss_innen. Macht ihnen klar, dass, wenn sie Facebook füttern, sie sich echt mit der falschen Seite eingelassen haben!

nadir, im Oktober 2012

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