Ein besonders perfides Mittel, um Angeklagte und ihr soziales bzw. politisches Umfeld unter Druck zu setzen, ist die so genannte Beugehaft. Mit der Beugehaft sollen Zeug_innen gezwungen werden, auszusagen. Sie wird aber auch als reine Schikane und Repressionsmaßnahme genutzt, gerade wenn die Ermittelnden sehr wohl wissen, dass sie auch nach der Beugehaft keine Aussagen bekommen werden. Spätestens, wenn Beugehaft droht, reicht es nicht mehr, Aussageverweigerung als politische Selbstverständlichkeit einzufordern. Dieser Flyer soll deshalb als Anregung verstanden werden, sich mit der Beugehaft in den eigenen politischen und sozialen Zusammenhängen auseinanderzusetzen. Auf Grundlage einer solchen Auseinandersetzung werden wir als Zeug_innen besser in der Lage sein, dem Druck standzuhalten, und als Angeklagte wissen, dass unsere Freund_innen und Genoss_innen auch dann noch das Maul halten, wenn es darauf ankommt.
Wie sinnvoll ein gemeinsames und entschlossenes Vorgehen bei Zeug_innenvorladungen vor Gericht ist, zeigt sich am Beispiel des Magdeburger §129a-Verfahrens. Hier sollten 2005 zwölf Leute vor Gericht als Zeug_innen gegen zwei beschuldigte Genossen aussagen. Die Betroffenen verweigerten kollektiv mit einer gemeinsamen Erklärung die Aussage. Die angedrohte Beugehaft wurde nicht angeordnet. Einzig ein bereits verurteilter und erneut vorgeladener Genosse musste in Beugehaft.
Die rechtliche Grundlage der Beugehaft, im Gesetz übrigens „Erzwingungshaft“ genannt, ist § 70 der Strafprozessordnung. Danach kann Beugehaft von bis zu sechs Monaten gegen Zeug_innen verhängt werden, die nicht aussagen, obwohl sie zur Aussage verpflichtet sind. Bei polizeilichen Vernehmungen droht also niemals Beugehaft, weil dort keine Aussagepflicht besteht.
Anders sieht es bei Staatsanwaltschaft und Gericht aus. Dort sind Zeug_innen verpflichtet, wahrheitsgemäß auszusagen, sofern sie nicht Angehörige des/der Angeklagten sind oder Gefahr laufen, sich durch die Aussage selbst der Strafverfolgung auszuliefern (mit diesem schwierigen Thema beschäftigt sich unser Flyer 3 „Aussageverweigerung nach § 55 der StPO“).
Gerade die Staatsanwaltschaft droht gerne mit Beugehaft. Anordnen kann die Beugehaft aber auch bei staatsanwaltschaftlichen Zeug_innenbefragungen allein das Gericht. In aller Regel wird also noch Zeit bleiben, sich darauf vorzubereiten, mit Freund_innen und Genoss_innen zu reden, Verteidiger_innen zu Rate zu ziehen, eine Kampagne zu planen und auch ganz praktisch für Miete u. ä. zu sorgen oder die Folgen für Arbeitsplatz, Schule etc. zu minimieren.
Wenn die Beugehaft tatsächlich angeordnet wird, gelten hauptsächlich die Bedingungen der Strafhaft, die – verglichen mit den Bedingungen für Untersuchungshäftlinge – „lockerer“ sind. Hinzu kommen einige Besonderheiten. So besteht kein Zwang zur Arbeit, eine „Unterbringung“ zusammen mit anderen Gefangenen kann nur mit Zustimmung erfolgen und es ist erlaubt, im Knast Lebensmittel, Tabak, etc. über ein persönliches Knastkonto einzukaufen, auf das Geld von außen überwiesen werden darf. Für diese „Vorzugsbehandlung“ müssen die Betroffenen allerdings auch zahlen: Für Unterkunft und Verpflegung 20 Euro pro Tag.
Oftmals bleibt es aber bei der Androhung der Beugehaft. In den vergangenen Jahren wurde Beugehaft hauptsächlich in großen politischen Prozessen verhängt, bei denen (hohe)
Haftstrafen zu erwarten waren. Trotzdem müssen wir alle uns mit der Beugehaft auseinandersetzen. Ein Verfahren wegen der Organisationsstraftaten nach den §§ 129/a/b des Strafgesetzbuchs, also wegen Bildung oder Unterstützung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung, kann praktisch jede_n treffen, der oder die sich irgendwie in der Szene bewegt.
In dem aktuellen Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung in Zusammenhang mit dem Anti-Nazi-Protesten in Dresden etwa sind hunderte von Menschen aus dem gesamten linken Spektrum angeschuldigt. Weil es am Ende vor allem um Strukturen geht, ist die Anzahl möglicher Zeug_innen sogar noch viel höher.
Die Beugehaft ist in solchen Verfahren auch eine Reaktion des Staats auf eine verbreitete Praxis der Aussageverweigerung. So schrieb beispielsweise die Bundesanwaltschaft in einem Beugehaftantrag im Herbst 1987:
„Von den etwa 200 Anschlägen der RZ/Rote Zora konnte nur ein verschwindend geringer Teil bekannten Tätern zugeordnet werden. Ein wesentlicher Grund dafür ist das Verhalten von Sympathisanten, die in der Erfüllung ihrer strafprozessualen Pflichten eine zu verneinende Kooperation mit dem Staatsschutz sehen. Deshalb muss die kollektive Aktion über das Mittel der Beugehaft gebrochen werden.“
Die Androhung der Beugehaft können wir daher auch als einen Hinweis darauf verstehen, dass wir insgesamt auf einem guten Weg sind – sei es im Allgemeinen, weil der Staat keinen Einblick in die Szene bekommt, oder im konkreten Verfahren, in dem die Anklage möglicherweise ohne unsere Aussagen ins Wanken gerät.
Gerade deshalb gilt es, den persönlichen Bedürfnissen die politischen Notwendigkeiten entgegenzusetzen. Das bedeutet keinesfalls, die Ängste und Schwierigkeiten zu leugnen, die angesichts einer drohenden Inhaftierung auftauchen, oder sie gar einfach als „bürgerliche Kacke“ abzutun. Die Aussageverweigerung als Zeug_in geht aller Erfahrung nach nicht ohne Ängste vor persönlichen Konsequenzen über die Bühne. Wir sind alle nur zu gerne bereit, unser bisschen Freiheit hier draußen unter allen Umständen zu behalten. Unsere Ängste dürfen aber nicht Grundlage der Debatte werden und dazu führen, dass das jeweilige Verhalten von „Zeug_innen“ als ein zwangsläufiges Ergebnis ihrer persönlichen Lebensumstände missverstanden wird.
Ob wir in Beugehaft gehen oder mit so genannten „begrenzten Aussagen“ den Weg zur Kooperation zu beschreiten, ist in erster Linie eine politische Frage, die auch vor dem Hintergrund möglicher Probleme und Folgen für das Leben der/des Betroffenen diskutiert werden muss.
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