4.1. Ingewahrsamnahmen
Die Ingewahrsamnahme findet auf Grundlage des Polizeirechts statt: Der Polizei ist es mit unterschiedlichen Auslegungsmethoden möglich, eine polizeirechtliche Gefahrensituation herbei zu definieren. Dabei meint sie Leuten unterstellen zu können, dass sie demnächst eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begehen wollen. Der bloße Verstoß gegen das Versammlungsgesetz beispielsweise kann dazu führen, dass Leute in polizeiliches Unterbindungsgewahrsam genommen werden. Auf dieser rechtlich fragwürdigen Grundlage werden regelmäßig Masseningewahrsamnahmen auf Demos durchgeführt, z.B. wenn polizeiliche Anweisungen- bzw. Aufforderungen: Nicht schnell zu laufen – nicht zu hüpfen – sich nicht zu vermummen etc. nicht befolgt werden.
- Das Polizeigewahrsam ist keine Verhaftung, es wird keine Straftat zur Last gelegt.
- Die Anwendung der Ingewahrsamnahme durch die Polizei ist eine der rechtlichen Varianten der Freiheitsentziehung. Die gesetzlichen Grundlagen für die Ingewahrsamnahme sind im Hamburger Sicherheits- und OrdnungsGesetz geregelt. (SOG)
- Auf dieser Grundlage darf eine Person oder eine Personenggruppe in polizeilichen Gewahrsam genommen werden, wenn diese Maßnahme der Polizei unerlässlich erscheint, um hierdurch eine bevorstehende Begehung von Straftaten oder deren Fortsetzung verhindern zu können.
Für Hamburg gilt: Eine Ordnungswidrigkeit im Sinne des Gesetzes in diesem Zusammenhang ist, wenn (nach Ansicht der Polizei) durch eine Versammlung eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit auszugehen droht.
4.1.1. Der Polizeikessel
Neben der Ingewahrsamnahme mit Abtransport auf die Wache zählen auch Polizeikessel zu den Ingewahrsamnahmen. Da es unterschiedliche rechtliche Auffassungen zur zulässigen Dauer eines Kessels gibt, solltest du dir den genauen Zeitraum des Beginns und Ende des Kessels für einen eventuellen Prozess unbedingt merken!
Üblicherweise werdet ihr nach der Ingewahrsamnahme auf die Wache transportiert.
War die Ingewahrsamnahme nach Polizeirecht bisher nur bis zum Ende des folgenden Tages möglich, ist jetzt per Gerichtsbeschluss eine Höchstdauer von 14 Tagen möglich. Üblicherweise entlassen die Cops die Leute zwar dann, wenn sie der Meinung sind, dass sich die Situation „beruhigt“ hat – es kann aber eben ab nun theoretisch auch passieren, dass mensch ziemlich lange auf der Wache verbringen muss wenn ein_e Richter_in das festlegt.
4.1.2. Deine Rechte
Wer in Gewahrsam genommen wurde, muss den Grund der Ingewahrsamnahme genannt bekommen. Zudem müssen die Betroffenen über ihre zulässigen Rechtsbehelfe belehrt werden. Es stehen euch zwei Telefongespräche zur Verfügung. Praxis: Kommt vor, dass die Cops wählen und anrufen, danach erst den Hörer rausrücken, oder sie Leute nicht telefonieren lassen, dann drauf bestehen und evtl. nachträglich beschweren. Versucht als erstes – oft bleibt es nämlich nur bei einem Telefongespräch – den EA zu erreichen, danach könnt ihr versuchen, Angehörige oder eine Person eures Vertrauens anzurufen. Deren Identität könnte dann allerdings der Polizei bekannt werden.
Solltest du verletzt sein oder sonstige ärztliche Hilfe benötigen, muss sich ein_e Ärzt_in um dich kümmern dürfen.
Es ist sehr wichtig zu beachten – und zu erfragen! – ob es sich bei der Ingewahrsamnahme bereits um eine Strafverfolgungsmaßnahme nach der Strafprozessordnung handelt. Ist dies der Fall, so handelt es sich um eine weitere Form der Freiheitsentziehung – nämlich um eine „vorläufige Festnahme“ (gemäß § 127 StPo.)
Zum Schluss sei angemerkt, dass es für eine spätere evtl. Prozessführung von Bedeutung ist, die während der Ingewahrsamnahme erlittenen, gesetzwidrigen Aktivitäten der Polizei genauestens in Form eines Gedächtnisprotokolls aufzuschreiben und an uns zu schicken.
4.2. Die Festnahme
- Es kann passieren, dass Personen von der Polizei als Verdächtige_r einer Tat vorläufig festgenommen werden. Dies bedeutet, dass die Polizei euch als Straftäter_in bezeichnet und vorläufig festnimmt. Sollte es zu einem Haftprüfungstermin kommen, ist es ungemein wichtig, dass der EA davon erfährt, um Anwält_innen besorgen zu können. Besteht auf eure Telefongespräche!
- Häufig kommt es bei Festnahmen, aber manchmal auch bei Ingewahrsamnahmen, zur Erkennungsdienstlichen (ED)-Behandlung. Wenn mensch keinen Ausweis dabei hat, wird wahrscheinlich eine ED-Behandlung vorgenommen. Das heißt, es werden Fingerabdrücke genommen und Fotos oder manchmal auch Videoaufnahmen gemacht. In Hamburg passiert das meistens auf dem Polizeipräsidium in Alsterdorf. Lege Widerspruch dagegen ein, bestehe auf einen schriftlichen (nix unterschreiben, können die gegenseitig machen). Dies hat keine aufschiebende Wirkung. Zur wehr setzen, ist gegebenenfalls Widerstand und tut ausserdem weh.
In Hamburg, NRW und Bayern ist es der Polizei erlaubt nach einer freiwilligen DNA Abgabe zu fragen. In allen anderen Bundesländern brauchen sie dazu die Erlaubnis der Staatsanwaltschaft. Einer DNA Abnahme ist grundsätzlich zu widersprechen. Dies hat aufschiebende Wirkung, eine DNA Abnahme kann nur von eine(m)_er Richter_in/ Staatsanwaltschaft angeordert werden. - Auch bei einer Festnahme dürft ihr zwei Telefongespräche führen.
- Neben diesem Recht habt ihr als Beschuldigte noch weitere Rechte. Auf die solltet ihr, je nach eurer Verfassung, ebenfalls bestehen. Da wäre zunächst das Recht zu erfahren, was denn nun der Grund der Festnahme sei. Weiterhin kann im Verletzungsfall ein_e Ärzt_in verlangt werden, die auch Verletzungen attestieren können. Der Weg zu vertrauten Ärzt_innen sollte dennoch im Nachhinein nicht vergessen werden.
- Weiterhin könnt ihr Protokolle für alle beschlagnahmten oder beschädigten Sachen verlangen. Gegen die Maßnahme der Ingewahrsamnahme, der Festnahme und erkennungsdienstlichen Behandlung, so genannte ED-Behandlung, solltet ihr stets einen Widerspruch zu Protokoll geben, indem du laut und deutlich sagst: „Ich lege Widerspruch ein.“ Diese Protokolle wie auch alle anderen Sachen, die euch von der Polizei vorgelegt werden, solltet ihr auf keinen Fall unterschreiben, weil es schon vorkam, dass eine Unterschrift unter etwas stand, was mensch gar nicht unterschrieben hatte. Deine Sachen müssen sie dir auf jeden Fall zurückgeben. (Gerade bei dem Protokoll über die beschlagnahmten Sachen sind von den Cops nachträglich strafrelevante Dinge hinzugefügt worden.- Daher ist es wichtig nix zu unterschreiben)
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