Aussageverweigerung ist mehr als ein taktisches Mittel in der Konfrontation zwischen radikaler Linker und dem Repressionsapparat. Die Praxis, jede Zusammenarbeit mit Polizei, Geheimdiensten und Staatsschutzjustiz zu verweigern, ist vor allem auch ein offensiver Ausdruck linksradikaler Ablehnung des staatlichen Systems und seiner Autorität. Das Verhältnis linker emanzipatorischer Politik gegenüber diesem Staat kann nur ein antagonistisches sein, ein Verhältnis des vollkommenen Widerspruchs. Ein kapitalistisches staatliches System ist die Negation jeden freien Lebens. Egal ob Gruppen oder Bewegungen die permanente Revolte führen wollen, für Rätekommunismus oder Anarchie stehen, heißt das in der Konsequenz, diesen Staat mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen und die wir für angemessen halten, anzugreifen und in soziale Auseinandersetzungen einzugreifen, so dass staatliches Kalkül gesellschaftlich, ökonomisch und politisch nicht mehr greifen kann.
Linke emanzipatorische Bewegungen befinden sich genau in diesem grundsätzlichen Konfrontationsverhältnis zum Staat. Zu einem Staat, der einer der Hauptakteure des globalen kapitalistischen Regimes ist. Der Repressionsapparat in seiner Ausrichtung emanzipatorische Bewegungen anzugreifen und zu zerschlagen, ist staatliches Instrument innerhalb dieser grundsätzlichen Konfrontation.
Das „Skandalisieren“ staatlicher Repression, das immer wiederkehrende Betonen der eigenen Ungefährlichkeit (… aber wir haben doch nur …) oder das Beklagen der eigenen Opferrolle gegenüber Repression sind sowohl Zeichen einer Fehleinschätzung eben dieses Konfrontationsverhältnisses als auch eine Unterschätzung der eigenen Rolle als politische Bewegung. Staatliche Repression ist kein Skandal, sondern eine logische Konsequenz. Es geht nicht darum, uns immer wieder als Opfer staatlicher Maßnahmen zu begreifen, sondern darum, uns auf staatliche Angriffe einzustellen und Strukturen zu entwickeln, die auf diese Angriffe reagieren können. Es geht nicht darum, einen imaginären Rechtsstaat zu beschwören. Das hier ist der Rechtsstaat!
Aussagen?
Warum sollten wir uns von denen, die wir bekämpfen, also von Bullen oder Staatsanwält_innen über Genoss_innen, Freund_innen, politische Strukturen oder unser Lebensumfeld ausfragen lassen? Warum sollten wir einer staatlich erzwungenen Denunziationspflicht nachkommen, die sich einzig gegen uns selbst richtet?
Jede Information, die der Staatsschutz nicht hat, schützt einzelne Menschen, aber auch ganze Strukturen und Zusammenhänge. Es gibt für Bullen und Justiz keine unwichtigen Aussagen. Jede Information, die sie haben, werden sie auch verwenden. Und zwar immer gegen uns. Das einzig Sichere ist, gegenüber Bullen und Staatsanwaltschaft nichts zu sagen. Weder als Beschuldigte_r noch als Zeug_in.
Verhöre ob als Zeug_in oder Beschuldigte_r sind zugespitzte Situationen in unserer Auseinandersetzung mit dem Staat. Wir sitzen in solchen Situationen Vertreter_innen eines Apparates gegenüber, dessen Ziel es ist, soziale, politische Widerstandsbewegungen mit allen notwendigen Mitteln zu zerschlagen. Auf der einen Seite wollen die verhörenden Bullen Informationen, die ihnen nutzen und uns schaden. Zum anderen sollen die Verhörsituationen aber auch gesellschaftliche Macht- und Gewaltverhältnisse demonstrieren. Die Verhörsituation zielt darauf ab, Menschen zu individualisieren und ihnen zumindest für den Moment ihre Identität zu rauben. Durch Machtdemonstrationen, Versprechungen, Lügen und Drohungen, sollen die Verhörten als Individuum gefügig und verwertbar gemacht werden. Menschen sollen sich unterwerfen und erpressbar werden.
Offensive Aussageverweigerung bedeutet genau an diesem Punkt weitaus mehr, als den Bullen keine Informationen zu geben. Aussageverweigerung bedeutet hier, sich der Macht der Bullen zu entziehen und ihr politisches Kalkül zu durchkreuzen. Sich dieses selbstbestimmte Handeln auch in der Konfrontation des Verhörs zu bewahren und das sichere Bewusstsein, Teil einer kollektiven Praxis zu sein, die unsere Zusammenhänge und Menschen solidarisch vor staatlicher Verfolgung schützt, ist offensives politisches Agieren in der Auseinandersetzung mit staatlicher Macht.
Solidarität und Kollektivität
Ohne eine politische Bestimmung und ohne kollektive Zusammenhänge bleibt die Parole „Maul halten“ allerdings nichts weiter als eine unpolitische Direktive. Wir führen eine konkrete Auseinandersetzung mit dem staatlichen System. Ein System, dass wir selbst oft genug analysiert haben und wissen, zu was für Schweinereien es fähig ist.
Linke Bewegungen müssen also staatliche Repression in ihr alltägliches Handeln mit einbeziehen und mitdenken, dass ein Konfrontationsverhältnis eben nicht nur dann existiert, wenn es auf der Strasse knallt oder ein Haus geräumt wird. Die Unversöhnlichkeit gegenüber dem System ist die alltägliche Basis allen politischen Handelns. Linksradikale Organisierung und Mobilisierungen und Interventionen in soziale Auseinandersetzungen sind das, was den Staat uns gegenüber zu repressivem Handeln bringt.
Vor allem geht es um die Entwicklung von tatsächlich kollektiven und solidarischen Lebenszusammenhängen, in denen Politik und Alltag, gegenseitiges Vertrauen und Kompetenz, Angst, Geborgenheit, Risiko offen zusammenkommen, anstatt das Subjektive und das Emotionale außen vor zu lassen. Unsere Radikalität muss auch bedeuten, eigene Mauern und Fassaden untereinander einzureißen und bürgerliche Denkstrukturen für mehr Offenheit und Verbindlichkeit unter uns zu überwinden. Gelebte und gefühlte Solidarität machen Aussagen, um den eigenen Kopf zu retten, unwahrscheinlich.
Offene solidarische Umgänge mit eigenen Unsicherheiten, mit Geldproblemen, Krankheit etc. verhindern Erpressungsversuche durch Bullen.
Solidarität und Kollektivität gilt es zu entwickeln und zu leben, sowohl zum Schutz vor staatlicher Repression, aber vor allen Dingen auch als Gegenentwurf zu den gezielten gesellschaftlichen Entwicklungen von Individualisierung und Fragmentierung. Solidarität und Kollektivität, auch um die Kolonisierung des eigenen Bewusstseins zu durchbrechen, also unser eigenes Denken zu befreien.
„Hören wir auf, die Repression zu beklagen: wer im „Herzen der Bestie“ kämpfen und leben will, darf im nachhinein nicht so tun, als wollte er/sie nur mit einer Hauskatze spielen. Wir können nicht schonungslos die Konturen eines Überwachungsstaates zeichnen und in lähmenden Entsetzen verharren, wenn er sich tatsächlich auch als solcher zeigt.
Wir wollen also keine Sympathie aus Mitleid , wir wollen keine Solidarität mit den „Opfern“ staatlicher Repression. Teilt eure Solidarität nicht in Schuldige und Unschuldige. Messt eure Solidarität daran, wie ernst wir alle es mit unserem Kampf um eine herrschaftsfreie Gesellschaft meinen.“
(Frankfurt/M 1987)