Trotz aller vermeintlichen politischen Klarheit und aller Kampagnen wird es aus verschiedensten Gründen immer wieder dazu kommen, dass Aussagen gemacht werden. Es ist eine alte Erkenntnis, dass Aussagen immer gegen die Betroffenen und ihre Zusammenhänge, gegen politische Bewegungen verwendet werden. Aussageverweigerung ist eine politisch notwendige Praxis. Diese Praxis zu diskutieren, zu entwickeln und umzusetzen ist die Aufgabe aller.
Das vorschnelle Verurteilen und Sanktionieren von Leuten, die Aussagen gemacht haben, geht erst einmal in die falsche Richtung. Wenn Leute in einer Verhörsituation zwischen den Sanktionen der Staatsgewalt und denen unserer Strukturen zu wählen haben, werden Betroffene den direkt drohenden Konsequenzen ausweichen. In einer Verhörsituation braucht die Person viel Kraft. Und diese Kraft liegt in der Klarheit zu wissen, warum
sie keine Aussagen macht. Aus der eigenen Überzeugung heraus, aus dem Wissen und Fühlen, wofür sie kämpft. Dieses Bewusstsein zu entwickeln, ist eine kollektive Aufgabe der politischen Zusammenhänge, die sich schon lange vor Betreten des Verhörraumes stellt.
Aussagen werden gemacht und Aussagen können nicht folgenlos toleriert werden. Dafür ist der Schaden, der entstehen kann zu groß. Insbesondere dann, wenn Leute aufgrund gemachter Aussagen verurteilt werden oder sogar einfahren. Aber auch dann, wenn die Aussagen vermeintlich harmlos, nicht belastend, belanglos etc. waren, werden sie im Informationspuzzle der Ermittlungsbehörden eine Rolle spielen, die wir nicht bestimmen können. Jede gemachte Aussage schadet politischen Strukturen.
Die Forderung nach einer Auseinandersetzung mit gemachten Aussagen, d. h. die zeitnahe Veröffentlichung von Gedächtnisprotokollen der Verhöre und die Konfrontation mit u. U. belasteten Leuten ist darin ein zentralen Element. Damit soll folgendes erreicht werden:
- dem Entstehen von Misstrauen untereinander und der Verunsicherung entgegen zu wirken
- sich der Situation des gegeneinander Ausspielens durch die Bullen zu entziehen
- die Vertrauensbasis für eine solidarische Zusammenarbeit wiederherzustellen
transparent zu machen, was die Bullen tatsächlich wissen und welche Informationen sie aus den Aussagen gewonnen haben - die in den Verhören und Vernehmungen gemachten Erfahrungen zu vermitteln, um daraus zu lernen
In der öffentlichen Auseinandersetzung liegt die einzige Chance, den Folgen der Aussage etwas entgegen zu setzen. Daraus folgt, dass ein Ansatz für eine Trennungslinie in dem Verhalten der Person nach der gemachten Aussage liegt. Wenn dieses Verhalten eine Auseinandersetzung unmöglich macht, bleibt die Vertrauensbasis, die Vorraussetzung für jede solidarische Zusammenarbeit ist, zerstört. Wenn nicht öffentlich wird, was die Bullen wissen, werden wir zum Spielball ihrer Spaltungsversuche und Intrigen.
Die Forderung mit den eigenen Fehlern an die Öffentlichkeit zu gehen, weckt sicherlich die Assoziation eines Kniefalls vor den Ansprüchen der Szene. Aber im offenen Umgang und einer ehrlichen Auseinandersetzung liegt die einzige Möglichkeit aus der Defensive zu kommen, die eigene Identität zurück zu gewinnen und den Schaden zu begrenzen.
zitiert nach:
- Repression und Widerstand, Texte und Materialien zu Staatsmacht, Selbstschutz und Soliarbeit, Hamburg 2007
- Texte zur Aussageverweigerung, Berlin 1988