Dokumentation der Presseerklärung der
RechtsanwältInnen
Christian Woldmann, Andreas Beuth, Britta Eder, Gerrit Onken
Unberechtigte Inhaftierungen nach Hausbesetzung in der Breitestraße. Akte und Videomaterial ermöglicht keine Identifikation der Mandanten als Täter. Trotzdem U-Haft angeordnet.
Rechtswidrige Maßnahmen gegen Betroffene. Beschränkung der Verteidigerrechte.Im Rahmen der Räumung eines in der Nacht vom 27. auf den 28. August 2014 besetzten Hauses in der Breitestraße 114-116 in Hamburg, nahm die Polizei in der Umgebung des Hauses gegen ca. 01:30 Uhr fünf Personen vorläufig fest. Allen Fünf wurde zunächst der Tatvorwurf des versuchten Totschlags, der gefährlichen Körperverletzung, des schweren Hausfriedensbruchs und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gemacht.
Gegen zwei Heranwachsende erließ das zuständige Gericht bei der Haftprüfung Untersuchungshaftbefehle. Dabei ging die Haftrichterin davon aus, dass der dringende Tatverdacht des versuchten Totschlags durch Werfen von Gegenständen aus dem Haus bestehe. Aus Sicht der Verteidigung ermöglicht die den Betroffenen und Ihren AnwältInnen vorgelegte Akte und vorgespieltes Videomaterial bereits keine Identifizierung der Mandanten als Täter. Darüber hinaus stellt sich juristisch die Frage, inwieweit das Werfen der Gegenstände aus dem Haus überhaupt den Tatbestand eines versuchten Totschlages erfüllen kann. In beiden Fällen wurde von den AnwältInnen unmittelbar nach Erlass der Haftbefehle Antrag auf Haftprüfung gestellt.
Gegen die drei anderen Festgenommenen wurden keine Haftbefehle erlassen, in zwei Fällen nicht einmal von der Staatsanwaltsanwaltschaft beantragt. Stattdessen wurde gegen sie bis zum Sonntagmittag um 12.00 Uhr Polizeigewahrsam angeordnet. Auch diese freiheitsentziehenden Maßnahmen sind aus Sicht der Verteidigung offenkundig rechtswidrig. Es gibt keinerlei tragfähige Begründung dafür. Zwei Betroffene wurden vorübergehend festgehalten, obwohl das Gericht bereits deren Freilassung angeordnet hatte und zunächst keine Ingewahrsamnahme nach Polizeirecht ausgesprochen oder beantragt worden war.
Der Umgang von Polizei und Justiz mit allen fünf Betroffenen war von nicht nachvollziehbaren Verzögerungen und Beschränkungen von Verteidigungsrechten geprägt. Das in Art. 104 Abs. 2 Grundgesetz (GG) festgeschriebene Recht auf unverzügliche richterliche Entscheidung über eine Freiheitsentziehung wurde in massiver Weise verletzt.
Den MandantInnen und der Verteidigung wurde erst nach 38-40 Stunden Freiheitsentziehung, im Rahmen der Vorführung vor der Haftrichterin, zumindest grob zur Kenntnis gegeben, welche Handlungen Ihnen vorgeworfen werden.
Zudem wurde den AnwältInnen der Betroffenen ohne erkennbaren Grund erst ca. 7 Stunden nach deren Kontaktaufnahme mit LKA und Staatsanwaltschaft die Möglichkeit gegeben mit ihren MandantInnen zu sprechen.
Wir haben sowohl der Hamburger Polizei als auch der Staatsanwaltschaft frühzeitig unsere Bedenken, das verfassungsrechtliche Unverzüglichkeitsgebot bei freiheitsentziehenden Maßnahmen betreffend, mitgeteilt. Gleichwohl hat die Polizei keine diesem Gebot entsprechende unverzüglichen Information gegeben, ob eine Vorführung vor den Haftrichter erfolgen werde. Tatsächlich lag selbst dem zuständigen Gericht am Folgetag der Festnahmen bis Mittags noch keine Akte vor.
Auch die richterliche Zuführung am Freitag ab ca. 16 Uhr war von systematischen Verletzungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör der Betroffenen und des Rechts auf ein faires Verfahren geprägt. So wurde erst Akteneinsicht gewährt, nachdem die Verteidigung mehrfach und eindringlich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aus den letzten Jahren hinwies, wonach ein Beschuldigter, gegen den Untersuchungshaft beantragt ist, einen Anspruch auf Kenntnis der Akten hat, die dem Gericht bei der Entscheidung über die Untersuchungshaft vorliegen.
Für eine Akteneinsicht in eine mehrere hundert Seiten umfassende Akte wurde lediglich eine halbe Stunde gewährt, da der angeblich vorhandene Zeitdruck nichts Anderes erlauben würde, weil das Ende des auf die Festnahme folgenden Tages die äußerste gesetzliche Frist für eine richterliche Entscheidung über die Freiheitsentziehung ist. Dieser Zeitdruck wäre vermeidbar gewesen, wenn den Verteidigungsrechten beispielsweise durch frühzeitige Fertigung von Kopieakten und Akteneinsicht vor Anhörungsbeginn Rechnung getragen worden wäre. Einigen AnwältInnen wurde gar keine Akteneinsicht gewährt.
Das Vorgehen von Polizei und Justiz ist aus Sicht der Verteidigung besorgniserregend verantwortungslos. Neben systematischem nicht Gewähren von Rechten sind die mit dem Erlass von Haftbefehlen verbundenen intensiven Grundrechtsbeeinträchtigungen für die von Untersuchungshaft Betroffenen keineswegs gerechtfertigt.